Forschungsprojekt für klimaneutralen Rangierbetrieb
Im Rahmen des Forschungsvorhabens sH2unter@ports arbeiteten von Dezember 2022 bis September 2024 sechs Projektpartner an der Fragestellung, wie Rangierlokomotiven im Hafenkontext klimaneutral betrieben werden können und untersuchten im Speziellen, ob die Umsetzung einer wasserstoffbetriebenen Lokomotive möglich ist. Die Projektpartner bremenports, Hamburg Port Authority, das Eisenbahnverkehrsunternehmen evb, das Institut für Energie und Kreislaufwirtschaft der Hochschule Bremen, das Smart Mobility Institute der Hochschule Bremerhaven und ALSTOM betrachteten dabei auch andere alternative Antriebe, um zu evaluieren, welche Antriebsart die technisch, ökonomisch und ökologisch effizienteste ist.
Hintergrund – klimaneutrale Rangierbetriebe in Seehäfen
Die Untersuchungsgebiete der Studie waren der Seehafen Hamburg und der Überseehafen Bremerhaven. Beide Seehäfen verladen im Hinterlandverkehr über 50 % der Seeschiffsladungen auf die Schiene, Tendenz steigend.
Die Rangierbetriebe übernehmen dabei die wichtige Aufgabe, Güterwaggons entsprechend ihrer Bestimmung für den Export und den Import, auf die Terminals oder auf die verschiedenen Züge zu verteilen. Diese fahren auf elektrifizierten Strecken, der Elektrifizierungsgrad liegt in Hamburg bei ca. 44% und in Bremerhaven bei 64 %. Insbesondere auf den Strecken der sogenannten letzten Meile ist die Schieneninfrastruktur meist nicht elektrifiziert, auch weil dies an den Umschlagsanlagen oft technisch nicht möglich ist. In dem Forschungsprojekt wurde die Umstellung der Rangierbetriebe auf alternative Antriebe untersucht, im Speziellen auf Wasserstoff. Dazu wurden folgende Aspekte analysiert:
- Anforderungen an die Infrastruktur, an Sicherheitsaspekte und an die logistische Umsetzung
- Entwicklung von neuen emissionsfreien und emissionsreduzierten Rangierloks, wie auch der Umrüstung von bestehenden Loks
- Studien zur Nachhaltigkeit: Anreiz- und Assistenzsysteme für energieschonendes Fahrverhalten, ökonomische und ökologische Untersuchungen
Anpassung der Infrastruktur
Generell werden Häfen, welche die politische Zielvorgabe der Klimaneutralität umzusetzen haben, auch in Zukunft Drehscheiben für Energieimporte sein, denn Studien belegen, dass der nationale Energiebedarf nicht allein durch die innerdeutsche Energieproduktion mit Erneuerbaren Energien ausreichen wird. Demnach ist davon auszugehen, dass Häfen zukünftig mit H2-Hubs zur Anlandung von H2 ausgebaut werden. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, Wasserstoff strategisch einzuplanen. Der Netzausbau und auch der weitere Ausbau der Hafenbahn-Infrastruktur mit Oberleitungen sind möglich. In der Studie sH2unter@ports wurden mögliche Antriebe gegenübergestellt. Prämisse war dabei, dass es zu keinen Störungen im Betriebsablauf bei dem Umschlag durch die EVUs kommt. Ebenso muss die Energieverfügbarkeit gesichert sein. In Bremerhaven werden bereits alle Rangierloks der drei tätigen Eisenbahnverkehrsunternehmen mit hydriertem Pflanzenöl betankt (HVO), was in die Studie mit einfloss.
Messreihen als Datengrundlage
In der Studie sH2unter@ports wurden die Leistungsanforderungen an Rangierloks in den beiden Hafengebieten genau geprüft. Eine herkömmliche Diesellok G1000 wurde mit Mess-Sensorik ausgestattet, um für mehrere Wochen Fahrprofile, in hoch aufgelösten Zeitintervallen, zu liefern. Die Test-Lok war im normalen Alltagsbetrieb der evb im Einsatz. Dabei wurden folgende Parameter gemessen. Die 15-wöchigen Testfahrten in den Seehäfen wurden Ende September 2023 abgeschlossen, die Daten wurden herangezogen, um verschiedene Lok-Varianten zu konzipieren und in simulierten Rangierfahrten deren Performance zu überprüfen.
Drehmoment am Rad per Dehnmessstreifen an der Drehmomentstütze der Lok | Gezogene Kraft per Dehnmessstreifen am Zughaken der Lok |
GPS-Daten (Speed, Position, height) | Neigung im Gleis |
Beschleunigung | Temperatur |
Feuchtigkeit | Motordaten wie Drehmoment, Temperatur und Verbrauch |
Untersuchte Lok-Varianten
Für die Betrachtung der technischen Machbarkeit sowie auch für die ökologischen und ökonomischen Untersuchungen wurden folgende Varianten betrachtet:
V1: Neubau-Lok mit Brennstoffzelle & Batterie: Es konnte gezeigt werden, dass eine Lokomotive mit einer Brennstoffzelle von ca. 220kW Leistung kombiniert mit einer Batterie von mindestens 315kWh die Anforderungen in beiden Seehäfen erfüllen würde. An extremen Tagen liegt der Verbrauch bei bis zu 130kg, im Durchschnitt bei 80kg. Es empfiehlt sich von daher einen Wasserstoffspeicher von größer 130kg umzusetzen, um der Anforderung von mindestens einem Tag Betrieb ohne nachtanken nachzukommen.
V2: Neubau-Lok mit Oberleitung & Batterie: Für die Oberleitungsvariante wurden die vorhandenen Oberleitungsanlagen analysiert und unter der Annahme eines automatischen Systems zum Heben und Senken des Pantographen die Performance der Batterie im nicht-überspannten Bereich betrachtet. Für die gemessenen Tage zeigte sich, dass eine Batterie mit einer Kapazität von 420kWh ausreichend sein dürfte. Ein Stresstest unter Annahme nicht ausreichender Ladezeiten zwischen den Einsätzen zeigte allerdings die Grenzen des Systems auf. In einem Folgeprojekt sollte betrachtet werden, wie zusätzliche Oberleitungsinseln die Performance verbessern können, außerdem sollten mehr Fahrprofile betrachtet werden.
V3: Retrofit-Lok mit H2-ICE als Generator & Batteriesystem: Insofern ein Umbau der ursprünglich als Diesel-hydraulisch betriebenen Lok auf ein elektrisches Antriebssystem zulassungstechnisch umsetzbar ist, würde ein System bestehend aus einem Wasserstoff-Verbrennungsmotor mit Direkteinblasung (100% betrieben mit Wasserstoff, Otto-Prinzip) mit einer Leistung von 440kW kombiniert mit einer Batterie mit 210kWh Kapazität die Fahrprofile erfüllen können. Die Umbaustudien der Bestandslokomotive zeigen, dass bis zu 70kg Wasserstoff auf der Lok gespeichert werden können. Da dieses System an Extremtagen bis zu 170kg Wasserstoff benötigt, im Durchschnitt 110kg, zeigt sich, dass mindestens zweimal am Tag nachgetankt werden müsste, was betrieblich neu bewertet werden müsste.
V4: Retrofit-Lok mit H2-ICE via bestehendem Getriebe: Dieser technisch einfachere Retrofit betrachtet die Umrüstung des Bestandsdieselmotors auf einen Wasserstoff-Verbrennungsmotor mit Direkteinblasung (100% betrieben mit Wasserstoff, Otto-Prinzip). Hierbei verbleiben bis auf den Diesel-Tank alle Systeme auf der Lok, so dass ca. 40kg Wasserstoff gespeichert werden können. Da dieses System an Extremtagen bis zu 150kg Wasserstoff benötigt, im Durchschnitt 95kg, zeigt sich, dass mindestens dreimal am Tag nachgetankt werden müsste, was betrieblich neu bewertet werden müsste.
Ein Rangierbetrieb mit Wasserstoff ist technisch umsetzbar, aufgrund der Reichweite müssen allerdings operative Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Während Umbauten schneller umsetzbar sind und somit eine Übergangsvariante darstellen, können bei Neufahrzeugen durch Verlängerung des Fahrzeugs (G1000 ca. 14m; Neufahrzeuge am Markt teilweise 19m) eine größere Menge Wasserstoff gelagert und somit die Reichweitenanforderungen besser umgesetzt werden. Die Variante mit Oberleitung und Batterie erfüllt das gemessene Profil und kann bei Schaffung der betrieblichen Bedingungen, wie zum Beispiel Oberleitungsinseln oder Ladegeräten an häufigen Haltepunkten sowie einer technischen Einrichtung, welche das automatischen Heben und Senken des Pantographen sicherstellt, wahrscheinlich auch für Stressszenarien umgesetzt werden. Eine tiefere Überprüfung von verschiedenen Loktypen und -Einsatzfällen ist für eine Flottenaussage notwendig.
Anreizsystem für energieschonendes Fahrverhalten
Anreiz- und Assistenzsysteme bergen das Potential einer positiven Auswirkung auf die Energie- und Ressourceneffizienz einer Rangierlokomotive. Zur Quantifikation der konkreten Reduktionspotentiale an Treibstoff und damit einhergehenden Treibhausgasemissionen wurden während des Messzeitraums mehrere Begleitfahrten bei erfahrenen Lokomotivführern durchgeführt und verschiedene Fahrstile im Rangierbetrieb unter realen Einsatzbedingungen simuliert. Dank der Messelektronik konnte auf diese Weise dargestellt werden, welchen Einfluss das Fahrverhalten des Rangierpersonals auf den Treibstoffverbrauch der Lokomotive hat. Auf dieser Grundlage wurden Anreiz- und Assistenzsysteme untersucht, die in den Betrieb einer Rangierlokomotive implementiert werden und das Rangierpersonal zu einer nachhaltigeren Fahrweise motivieren können. Mitarbeitende können durch geeignete informationsbasierte, soziale und belohnungsbasierte Anreizsysteme zu einem nachhaltigeren Fahrverhalten sowie einer abgestimmten Logistikplanung motiviert werden.
Die Auswertung der Messfahrten hat ein konkretes Einsparpotential durch eine Änderung des Fahrverhaltens in Höhe von 3,1 – 5,5 % hinsichtlich des Treibstoffeinsatzes ergeben. Durch Assistenzsysteme, wie z. B. einem Start-Stopp-System, kann der Treibstoffbedarf um bis zu 10,7 % verringert werden. Diese Einsparpotentiale wirken analog auf die TTW-Treibhausgasemissionen und sind heute schon unabhängig von der eingesetzten Antriebstechnologie zu heben. Neben Einsparungen an Treibhausgasen und Treibstoffen erzielen Anreiz- und Assistenzsysteme zudem eine Schonung der Verschleißteile an den Lokomotiven und der Infrastruktur.
Ökonomische Untersuchungen
Es wurden Key Performance Indicators (KPI) betrachtet welch erlauben die Betriebs- und Dienstleistungsqualität verschiedener Lokvarianten sowie deren Entwicklungsfortschritte zu vergleichen: u.a. die technische Verfügbarkeit, die Reichweite, die Wartungskosten und -intervalle sowie die Kraftstoff-Verfügbarkeiten.
Für die Erstellung des nach dem Total Cost of Ownership-Ansatz entwickelten Kostenmodells wurden anhand realer Betriebsdaten sowie mit den Werten aus den Messfahrten CAPEX- und OPEX-Daten als Grundlage der variablen und fixen Kostenrechnung erfasst. Das Kostenmodell umfasst eine vergleichende Bewertung der Diesel und HVO betriebenen Rangierloks mit den alternativen Lok-Varianten. Die variable Kostenrechnung zeigt, dass derzeit (Juli 2024) die Kraftstoffkosten insbesondere für mit grauem Wasserstoff betriebene Lok-Varianten einen wesentlichen Kostenfaktor darstellen. Mit einer zukünftig abnehmenden Nachfrage nach Erdgas und einer Zunahme der Importe sowie der Eigenproduktion von grünem Wasserstoff in Deutschland kann mit einer Abnahme der Preise für beide Wasserstoffvarianten gerechnet werden. Kostentreiber innerhalb der fixen Kostenrechnung sind vor allem die Ausgaben für Hauptrevisionen mit Komponententausch, wovon wesentlich die Varianten mit Batterien betroffen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Preise für Brennstoffzellen und Batterien derzeit eine hohe Volatilität am Markt aufweisen. Neben der Betrachtung der aktuellen Kostensituation wurden die Preisentwicklung für zukünftige Szenarien, die Kosten für erforderliche Infrastrukturmaßnahmen und mögliche Einsparungen durch den Einsatz von Assistenzsystemen berücksichtigt.
Ökologische Untersuchungen
Mit Hilfe ökobilanzieller Untersuchungen wurden die Umweltwirkungen der untersuchten Rangierlokomotiven analysiert. Basis für den Vergleich untereinander waren u.a. der Einsatz verschiedener Kraftstoffe (Diesel, HVO, Wasserstoff sowie Strom unterschiedlicher Gestehungsarten, u.a. Wind, Solar, deutscher Strommix), sowie die unterschiedlichen Antriebstechnologien für Wasserstoff (Brennstoffzelle, Hybrid, Verbrenner). Im Rahmen von Messfahrten, sowohl in Bremerhaven als auch in Hamburg, wurden für die Berechnung der Umweltwirkungen relevante Betriebsparameter erhoben und analysiert. Neben den Ergebnissen der Messfahrten wurden weitere Daten zur Lokomotive selbst sowie zu den eingesetzten Kraftstoffen, Betriebsmitteln, der Infrastruktur usw. erhoben und in die ökologische Bewertung einbezogen. Als Bilanzzeitraum wurde die durchschnittliche Nutzungsdauer einer Rangierlokomotive berücksichtigt. Die Auswertung selbst erfolgte hinsichtlich verschiedener Wirkungskategorien (z.B. Klimaschutz, Ressourcenschutz). Auch weitere Umweltwirkungen wie Stickoxid- und Feinstaubemissionen im Umfeld des Hafenbetriebs wurden untersucht. Hierdurch sollte herausgefunden werden, unter welchen Bedingungen ein möglichst klimafreundlicher Einsatz von Rangierlokomotiven möglich ist.
Fazit
Die Umstellung der Rangierbetriebe auf verschiedene Antriebsmöglichkeiten mit Wasserstoff wurde als machbar eingestuft. Das gilt für die nötige Installation von Infrastruktur und Betankungsanlagen, als auch für verschiedene, mit Wassererstoff angetriebene Lok-Typen. Die Fahrdaten haben ergeben, dass auch eine Umstellung auf Hybridantriebe mit Oberleitungen und Batterie auf der letzten Meile möglich ist. Je nach Einsatzgebiet birgt das jedoch hohe Kosten für die Infrastrukturbetreiber. Von den Beteiligten, den Eisenbahnverkehrsunternehmen und beispielsweise von Lok-Leasing- Unternehmen wird eine flächendeckende, allgemein einsetzbare Technik vorausgesetzt. So wird in Zukunft beim Einsatz von Lokomotiven auf das Fahrprofil und weitere technische und infrastrukturelle Restriktionen überprüft werden müssen um die technische, ökologisch und ökonomisch beste Variante für den Betrieb auswählen zu können. Die vorliegende Studie hat die dafür nötigen Werkzeuge untersucht. Dadurch sollte der Aufwand für solch eine Untersuchung – nicht nur im Hafenkontext – in Zukunft sinken.